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GEDANKEN



16.03.2007


Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät?
Ich dachte ja nicht, dass ich vor meinem 30. Geburtstag schon nostalgisch werde, aber nun ist es passiert. Schuld ist zum einen dieser stetig nahende Tag, von dem man als Raucher annehmen kann, dass er den Zenit des Lebens darstellt und die bessere Hälfte schon vorbei ist und zum anderen meine Mutter. Sie zieht nämlich derzeit um und jedes mal wenn ich sie besuche, hat sie wieder irgendwas aus den Schränken, Kellern, Hängeböden hervorgekramt von dem sie nicht weiß, ob sie es mitnehmen soll oder wegwerfen.
Da war Kinderspielzeug, wie ferngesteuerte Autos, Modelleisenbahnzubehör, Matchboxautos etc. Aber sie fand auch alte Bücher und Unterlagen, die ich wohl bei meinem Auszug vor etlichen Jahren zurückgelassen hatte.
Und dann sitzt man da und ist ratlos. Ins Töpfchen oder ins Kröpfchen?
Das Spielzeug habe ich der BSR überlassen, aber ich nahm zumindest die Unterlagen an mich, um sie selbst zu sondieren.

Und was ich darunter alles gefunden habe! Alte Drehbücher, Skripte, Dispositionszettel.
Dazu muss ich sagen, dass ich mich mit 15 Jahren, als einmal eine Rundfunksendung an meiner Schule gemacht wurde, diese doch recht spannende Welt entdecken durfte. Also bewarb ich mich kurze Zeit später, um Sprecherkind zu werden. Und siehe da, es gelang. In der Folgezeit erhielt ich ein paar Aufträge in Hörspielen. Später, als meine Stimme etwas sonorer wurde, trug ich überwiegend die Gedichte und Geschichten von Preisträgern verschiedener Literaturwettbewerbe im Rundfunk oder auf den Preisverleihungen vor.

Briefumschlag (enthielt Texte für eine besinnliche Weihnachtssendung)



Von diesen Erfolgen beflügelt, meldete ich mich auch bei Film und Fernsehen. Damals wurden oft Darsteller für Filmproduktionen per Zeitungsanzeige gesucht. Man ging zum Casting, stand stundenlang an, wurde betrachtet, interviewt, getestet und meist wieder nach Hause geschickt. Bei der DEFA konnte ich nie einen Fuß in die Tür setzen.

Beim Fernsehen aber hatte ich einmal Glück. Es ging um eine Folge von Polizeiruf 110, und zwar dem inzwischen mehrfach preisgekrönten „Unheil aus der Flasche“. Besonders talentiert war ich wohl nicht, da ein Großteil der gedrehten Szenen wieder herausgeschnitten wurde. Aber knapp 10 Minuten verblieben - ich spielte schließlich den „bösen“ Jugendlichen, der seinen kleinen Bruder zu Einbrüchen in Geschäften animierte und dessen kleinen Wuchs nutzte, um durch kleine Fenster, Luken etc. einzudringen. Bei einem Raubzug verunglückt der Kleine, weil er in eine Vitrine fällt und ich mache mich aus dem Staub und bleibe bis zum Ende des Films der unbekannte Mittäter. Mein Name war dummerweise Ulf. In diesem Film hatte ich auch meine erste und bisher einzige Kußszene mit einem Mädchen. Die Szene musste sogar mehrmals wiederholt werden. Das Mädchen stellte nämlich meine Freundin dar, die mich mit dem Moped abholte. Aber sie war nach dem Kuss immer zu dumm zum Anfahren.
Außerdem bekam ich zwei Tage Geigenunterricht, damit es authentisch aussah, wenn ich darauf spiele. Der Ton wurde aber von einem Fachmann nachsynchronisiert.

Am Rande erfuhr ich, dass dem Drehbuch gemäß mein kleiner Bruder Holger sterben sollte, aber dieser Schluss der staatlichen Obrigkeit nicht gefiel und er deshalb schwer verletzt überleben musste. Ja, in der DDR war eine heile Welt sehr wichtig.

Titelblatt des Drehbuchs von „Unheil aus der Flasche“, Drehbuch und Regie Helmut Krätzig mit Autogramm

Auszug aus dem Drehbuch mit „Ulf“

Dispositionszettel ( eine Art Ablaufplan für einen Drehtag) vom Drehtag der Kußszene



In der Folgezeit erhielt ich noch mehrere kleine Aufträge. Die Produktionsleiterin damals war mir wohlgesonnen und vermittelte diese. Bei kleineren Sachen ging es einfach, bei größeren Rollen übersprang ich nur die erste Stufe des Casting und musste mich ansonsten der Prozedur stellen. Einmal gab es ein richtiges Duell, da konnten sich die Verantwortlichen nicht gleich zwischen zwei Darstellern entscheiden. Es gab ein richtiges Stechen bei den Drehproben (Eifersucht).
Es folgten also eine kleine Rolle bei „Der Staatsanwalt hat das Wort - Himmelblau“,

Drehbuchausschnitt „Himmelblau“



eine mittlere Rolle beim Polizeiruf 110 - „Eifersucht“ und eine Statistenrolle bei einem Fernsehfilms namens „Große Liebe gesucht“.

„Eifersucht“ hatte am meisten Spaß gemacht. Es waren 10 Drehtage in Kühlungsborn. Man kam also mal aus Berlin heraus. Das Drehteam war sehr angenehm.
Wieder spielte ich einen Sohn aus einer missratenden Familie (Sven Sander). Aber diesmal war ich nicht der Täter. Mörder war die Großmutter!?
In diesem Film habe ich eine Ohrfeige bekommen. Es war eine „echte“, da ich ja kein richtiger Schauspieler war und so etwas nicht simulieren konnte. Auch diese Szene musste mehrfach wiederholt werden, bis meine Wange ganz rot war und überschminkt werden musste. Bei einem Schlag flog mir sogar die Brille von der Nase.

Deckblatt

Drehbuchauszug „Eifersucht“



Der Vorteil war immer, das es schulfrei gab, falls die Dreharbeiten nicht in den Ferien lagen und ein kleines Honorar. Als Minderjähriger erhielt man damals 15,- Mark je Tag und als Volljähriger dann 75,- Mark. Das war nicht schlecht, da man bei normalen Ferienjobs so 3 - 5 Mark die Stunde verdiente und bei weitem nicht so viel Spaß hatte.

Naja, so ist das mit den Erinnerungen. Sie sind wieder hellwach, wenn man nach langer Zeit wieder ein paar Bezugsobjekte in der Hand hat.
Die Karriere endete schließlich damit, dass ich nach dem Abitur zum Wehrdienst musste und während der Wehrdienstzeit die Wende kam. Das Fernsehen der DDR brach praktisch zusammen und der Kontakt zu der Produktionsleiterin brach ab...

Ein schwaches Echo dessen ist vielleicht, dass ich später, vor lauter Krimis, Jura studiert habe und jetzt Rechtsanwalt bin.